Das Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde

Mein Name ist Ursula Weber, ich bin leidenschaftliche Reiterin und kenne das schmerzhafte Gefühl, wenn einem „das Glück dieser Erde“ auf den Boden der Tatsachen zurückholt.

Seit ich ein kleines Mädchen war, gab es nichts schöneres als bei den Pferden zu sein.

Als Kind fühlte sich alles so leicht an, wenn man auf dem Pferd saß.

Das ist wie bei jeder Sportart oder auch beim Erlernen eines Musikinstruments. Als Kind geht man unbedarft an die Sache heran. Fährt einfach ungebremst mit den Schi über den Berg, trötet mit Vollgas in die Flöte oder reitet einfach mal ohne Helm ins Gelände.

Wenn man dann aber erwachsen ist, beginnt man plötzlich nachzudenken. Beim Schifahren weiß man, wie schwer man sich verletzen kann, beim Musizieren bekommt man entweder Leistungsdruck oder gibt zu schnell auf, weil man sich blöd vorkommt, wenn schräge Töne rauskommen und beim Reiten kommt beides zusammen: die Angst zu stürzen und der Leistungsdruck.

Am schlimmsten ist, wenn man gerade unter Leistungsdruck vom Pferd fällt. Dann hat man gleich auch noch die sogenannten „Banden-Experten“ live dabei.

Das gibt einem ein richtig gutes Gefühl, wenn man zu den Leuten gehört, die so was nicht ausblenden können. Ich gehörte zu den „Ich kann es nicht ausblenden“-Reiterinnen.

Sobald mir jemand zusah, kam ich mir vor wie die schlechteste Reiterin der Welt. Trainierte ich alleine klappte alles wunderbar.

Ich wollte rausfinden, was ich machen kann und ändern muss, dass ich endlich unbeschwert im Sattel sitzen und endlich dieses Glück der Erde spüren konnte. Ich entschloss an meiner mentalen Stärke zu arbeiten und immer mehr meine Ängste aufzulösen.

Ich wollte unbedingt lernen, mich noch besser fokussieren zu können, musste aber feststellen, dass es in Österreich im Reitsportbereich kaum wirklich gute Mentaltrainer*innen gibt. Mentaltrainer*innen, die wirklich auch was vom Reitsport verstehen.

Daher entschloss ich mich für den Weg: Wenn niemand da ist der mir helfen kann, muss ich mir selber helfen. So kam ich zur Mentaltrainer Ausbildung und dazu, an mir und meinen Ängsten, Zweifeln und Träumen zu arbeiten.

Angeblich ist man ja erst ein(e) richtige(r) Reiter*in, wenn man mindestens zehn Mal vom Pferd gefallen ist. Von daher bin ich also schon mal eine echte Reiterin!

Nun ist es aber so, dass es mir als Kind und Jugendliche immer egal war, wenn ich vom Pferd gefallen bin, bin sofort wieder aufgestiegen und weitergeritten. Jetzt, wo ich älter bin, selber Mutter bin, stellte sich mir mein Gehirn immer mehr in den Weg und dem wollte ich auf den Grund gehen.

Ich habe seit zwei Jahren eine junge, aber trotzdem grundsätzlich sehr brave Stute. Ihr Name ist Fine Fellow – der Name ist Programm.

Sie ist riesig, 1,80m Stockmaß, lackschwarz und einfach wunderschön und sie ist so ein liebes Pferd und hat einen wirklich tollen Charakter. Ein Pferd, dass noch nie was böses getan hat. Natürlich ist ein junges Pferd mal übermütig oder etwas schreckhafter, aber sie hat ein Löwenherz und vertraut mir sehr.

Und trotzdem drehte sie zu Beginn unserer gemeinsamen Zeit immer ihren Hintern zur Seite, also von mir weg, damit ich nicht aufsteigen konnte.

Es musste immer jemand unten stehen und sie halten, damit ich aufsteigen konnte. Was sehr mühsam war, weil ich nicht ständig eine(n) Helfer*in bei der Hand hatte.

Mit viel üben und Leckerlis schaffte ich es aber dann doch halbwegs schnell, dass sie gerade stehen blieb.

Allerdings begann sie dann sofort loszugehen, bevor ich noch das zweite Bein so richtig über sie geschwungen hatte. Sie blieb also nicht mehr ruhig still stehen.

Sofort machte sich Panik in mir breit, weil ich 2013, als ich meine erste Stute gekauft hatte, auch das Problem mit dem Aufsteigen hatte. Da war es aber viel schlimmer, weil ich mit dem Fuß im Steigbügel hängen blieb, als sie davonschoss und ich nur mit viel Glück nicht von einem ihrer Hufeisen getroffen wurde. Und weil es so schön war, lud mich die Dame auch die nächsten drei Mal gleich noch mal ab.

Ich brauchte damals auch schon mal neun ganze Monate eine zweite Person zum Aufsteigen bis ich es alleine konnte.

Das schlimme war, dass ich über acht Jahren ein Problem mit einer – seien wir ehrlich – Kleinigkeit zu kämpfen hatte.

So gut wie jeden Tag stieg ich mit einem mulmigen Gefühl auf.

Ich darf hier noch dazusagen, dass meine erste Stute, die Pialotta, sich mittlerweile im Lungau auf der Alm bei einer Familie mit drei Kindern befindet. Wo die jüngste Tochter mit elf Jahren problemlos aufsteigt und über die Wiesen galoppiert.

Sie hat also nicht nur das perfekte Zuhause sondern offensichtlich auch kein Problem mehr damit, wenn jemand aufsteigen will.

Das hatte sie offensichtlich nur mit mir und jetzt hatte es auch meine Fine Fellow.

Nachdem jetzt schon das zweite Pferd ein Problem mit dem Aufsteigen hat, hat dann eventuell nicht das Pferd, sondern ich ein Problem mit dem Aufsteigen? Und falls ja, warum?

Mir wurde klar, dass irgendwas nicht hundertprozentig passt, kam aber nicht wirklich dahinter, was die Ursache war.

Wenn ich mal oben saß, lief es ja schon immer besser und nachdem ich keine schlechte Reiterin bin, hatte ich ja nur dieses klitzekleine Problem, dass ich noch irgendwie wegbekommen wollte.

Und sollte ich dahinter kommen, was da genau das Problem ist, sagte mir mein Bauchgefühl, dass ich jedes Problem lösen werde können. Und auf mein Bauchgefühl war schon immer Verlass!

Ich nahm mir vor beim nächsten Ausbildungstag dieses „Problem“ zur Sprache zu bringen und in der Gruppe mit meinen Kolleg*innen zu besprechen.

Wir sollten die Technik des „Circle of Excellence“ in Kleingruppen üben und so stellte ich mich als Trainee zur Verfügung, um an die „Aufstiegssache“ heranzugehen.

Bei der Technik des „Circle of Excellence“ geht es darum, sich durch innere Arbeit in eine Art Wohlfühlzone zu stellen, im wahrsten Sinn des Wortes aufzustehen und in den Kreis des Wohlbefindens reinzusteigen und dieses Wohlbefinden mit geschlossenen Augen unter Anleitung des/der Mentaltrainer*in zu manifestieren, um es in der Stresssituation abrufen zu können.

Die Übung fand ich klasse, in etwa fünfundvierzig Minuten sollte ich wissen, wie ich dieses Aufstiegsthema für immer und ewig los werden könnte.

Mir wurden also Fragen gestellt, ich spürte hin, horchte hin und suchte mein inneres Bild.

Und dann ging es los: Niemand aus der Gruppe, ich am allerwenigsten rechnete damit, dass mit diesem Circle of Excellenz bei mir etwas losbrechen würde, was mit dem Reiten überhaupt nichts zu tun hatte.

Mein inneres Bild war eine Blumenwiese, eine Blumenwiese mitten im Wald, die Grillen zirpten, die Bienen summten und ich saß als kleines Mädchen, mit blonden Haaren und einem Kranz aus Gänseblümchen auf meiner Stute Fine Fellow. Ein hübsches Sommerkleid hatte ich an und ich ritt ohne Sattel und Zaumzeug, nur mit einem Halsring und galoppierte über diese Blumenwiese. Ich hörte mich lachen. Meine Kleine lachte mich die ganze Zeit an. Dieses wunderbare, ausgelassene Lachen eines kleinen Mädchens. Und ich hörte die Blumenarie aus der Oper Lakmé. Das schönste Lied auf Erden und das fröhlichste und glücklichste Mädchen der Welt war da vor meinem inneren Auge und plötzlich öffnete sich mein Herz und die Tränen strömten nur so unkontrolliert über meine Wangen.

Ich konnte es gar nicht mehr halten. Die lieben Kolleg*innen aus der Gruppe waren völlig überrascht und ich glaube auch etwas hilflos. Und doch entspannten sich meine Schultern langsam und ich fühlte mich befreit.

Und wie aus dem Nichts fragte mich eine liebe Kollegin: „Kann es sein, dass du Angst hast, auf die andere Seite zu kommen, weil du Angst vor dem Neuen hast?“

Seit Jahren arbeitete ich in einem Job, den ich dachte gern zu tun. Den ich akribisch genau erledigte, mit vielen Überstunden, Ärger, zum Haare-raufen-führenden Mitarbeiter*innengesprächen. Zusätzlich machte ich mich vor etwa zwei Jahren auch selbstständig, traute mich aber bis dahin nicht, mein Angestelltenverhältnis zu kündigen. Der Schritt in die komplette Selbstständigkeit machte mir Angst.

Und dann sagt ein Mensch, den ich erst seit gefühlten zwei Stunden kannte einen Satz, der mir alles aufzeigte, der alles auflöste und mir die Augen öffnete.

Unser Ausbilder sagte noch: „Aber nicht, dass die morgen gleich kündigt!“ Und wir mussten alle lachen. Ich am allermeisten, weil ich wusste, dass ich es tue.

Seit dem Tag nach dieser Übung, stieg ich ohne Probleme aufs Pferd. Sie steht seit dem still wie ein Zinnsoldat. Wir hatten uns sportlich in den folgenden vier Wochen mehr weiterentwickelt, als das ganze Jahr davor.

Es lag nicht am Pferd, es lag an mir! Es liegt auch jetzt nie am Pferd, sondern immer an der Reiterin/am Reiter!

 

Denn das Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde!

Facebook
Twitter
Telegram
WhatsApp
Drucken

Ähnliche Beiträge

Was ist normal?

Kürzlich hat eine nicht ganz unbekannte Moderatorin eines privaten österreichischen TV-Senders ein Reel einer hübschen, sehr schlanken und super gestylten Instagram Userin gepostet, die verschiedene